Der Klimawandel hat insbesondere in der Landschaftsarchitektur zum Umdenken geführt. Mit dem Einsatz von neuen Pflanzenarten, grünen Leitbahnen und intelligentem Wassermanagement wird das Mikroklima gekühlt und der Bildung von Hitzeinseln im Sommer vorgebeugt. Matthias Dilger ist seit 2008 Landschaftsarchitekt und Stadtplaner bei AS+P. Im Interview verrät der Diplom-Ingenieur, wie die neuen Konzepte sozial- und klimafreundlicher Freiraumplanung in der FRANKFURT WESTSIDE einfließen – und was man vor 30 Jahren noch anders gemacht hätte.
Fangen wir im Kleinen an. Sie sind Landschaftsarchitekt, haben Sie Ihren Garten oder Balkon besonders gestaltet?
(lacht) Da muss ich zu meiner Schande gestehen, den grünen Daumen hat meine Frau. Sie hat komplett unseren Balkon gestaltet. Ich bin dann eher für die größeren Projekte zuständig, es ist zwar ein kleiner Frankfurter Balkon, der aber sehr grün und gemütlich ist.
Größere Projekte – damit wären wir beim Thema Frankfurt Westside. Der ehemalige Industriepark Griesheim ist insgesamt 73 Hektar groß. Wie viel Freiraum steht Ihnen da zur Verfügung?
Das kann ich in Zahlen gar nicht so genau sagen. Das wichtige ist, dass wir durch unsere durchgängige interdisziplinäre Zusammenarbeit bei AS+P, zusammen mit unseren Stadt- und Mobilitätsplanern in unseren Projekten die maximale Freiraumflächen herausholen können. Das beeinflusst die gesamte Planung nachhaltig und erhöht die positiven klimatischen, aber auch sozialen Effekte. Außerdem dürfen wir ein ganzes Stück Mainufer an dieses Quartier anbinden, was eine enorme Gestaltungsmöglichkeiten bietet.
„Vor 20 Jahren hätten hat man hier einfach alles abgeräumt und etwas Neues hingebaut“
Wie entstehen sozial- und klimafreundliche Freiflächen auf dem ehemaligen Industriepark Griesheim?
Wir haben vier multifunktionale Achsen, die Lebensadern des Quartiers. Es wird Kommunikationszonen, Outdoor-Working-Plätze, Podien sowie Veranstaltungsflächen für größere Events geben. Außerdem sehen wir Rückzugszonen zur Erholung sowie Sport und Freizeitangebote vor. Ein wichtiger Bestandteil ist hier das Mainufer. Dieses verknüpft die Frankfurt Westside an die Mainradwege. Am Flussufer planen wir außerdem einen Spiel- und Sportbereich – und am Hafen eine weitere multifunktionale Fläche, wo dann Veranstaltungen jeglicher Art stattfinden können. Davon profitieren nicht nur künftige Beschäftigte, sondern auch die umliegenden Anwohner.
„WIR STELLEN UNS DIE FRAGE: WELCHE BÄUME UND PFLANZEN HABEN IN 20 ODER 30 JAHREN NOCH EINE CHANCE?“
Auf dem Areal befinden sich Industriedenkmäler, die die Herzen Loftliebhaber höherschlagen lassen. Was gehen Sie mit diesem Erbe um?
Die Frankfurt Westside ist eine Konversion von 150 Jahren Industriegeschichte. Wenn man draußen vor Ort ist, dann spürt man noch, dass da über Generationen hinweg intensive Produktion stattgefunden hat. Uns ist wichtig, bei der Transformation des Ortes diese Historie nicht zu negieren und sensibel mit den industriellen Zeitzeugen umzugehen. So erhalten wir Gebäude und industrielle Strukturen vor allem im Bereich der Achsen.
In Kombination mit moderner Freiraumgestaltung und Materialien entsteht so ein einzigartiger Charakter, der sich eben nur im Spannungsfeld von verschiedenen Epochen, Baustoffen und Atmosphären entwickelt. So versuchen wir zum Beispiel, so viele Ziegel wie möglich von den zahlreichen Backsteinbauten zu erhalten, einzulagern und daraus zukünftig Beläge, Mauern oder Sitzbänke etc. zu bauen. Darunter verstehen wir den Cradle-to-Cradle-Ansatz: graue Energie zu nutzen, die bereits da ist.
Wir haben erlebt, dass die Sommer im Zuge des Klimawandels immer heißer werden. Welchen Beitrag kann hier die Landschaftsarchitektur leisten?
Mit Blick auf das Mikroklima im Quartier schaffen wir über die Achsen großzügige grüne Frischluftleitbahnen mit Bäumen und Bepflanzung vom Mainufer in das Gebiet hinein. Trotz der Altlasten wird es uns mit dem entsprechenden Verfahren möglich sein, die Oberfläche zu öffnen. Über bepflanzte Vegetationsflächen können wir so Wasser zurückhalten und verdunsten lassen. Das hat eine kühlende Wirkung auf das Mikroklima und beugt der Entstehung von Hitzeinseln vor.
Dennoch wird es insgesamt trockener. Die durstigen Birken werden Sie wohl nicht mehr pflanzen, oder?
Ganz genau! Wir als Landschaftsarchitekten stellen uns immer die Frage: Welche Bäume, welche Gehölze und Pflanzen haben gerade im urbanen Umfeld in 20 oder 30 Jahren noch eine Chance? Viele heimische Baumarten haben es inzwischen schwer. Die Deutsche Gartenamtsleiterkonferenz untersucht z.B. schon seit langem Straßenbäume nach ihrer Kompatibilität mit den urbanen und klimatischen Anforderungen.
Das hat mit dem alten Credo aufgeräumt, nur heimische Gehölze zu pflanzen. Inzwischen ist es Konsens, dass wir offener und flexibler werden müssen, um langfristig klimaresistente Bäume für unsere Städte zu haben. Zum Beispiel südeuropäische Arten, die auch unserem Frost standhalten, sind hier interessant. Außerdem setzen wir verstärkt auf extensive Wiesen und Staudenpflanzungen-, die wenig Wasser benötigen, anstatt großzügiger bewässerter Rasenflächen.
Wenn wir zurückblicken, was hätten Landschaftsarchitekten vor 20 Jahren noch anders gemacht?
In den letzten Jahren hat sich sehr viel geändert. Nehmen wir das Beispiel Konversion und Revitalisierung. Vor drei Jahrzehnten hat man einen alten Standort, sei es Kasernen- oder Industriestandort, oft einfach abgeräumt und etwas Neues hingebaut. Tatsächlich liegt mir das Thema sehr am Herzen. Mein Professor an der Uni war einer der ersten, die diese Idee aufgebracht haben: Nicht alles abzureißen, sondern eben die Geschichte zu nutzen, um eine besondere Atmosphäre eines Ortes zu kreieren.
„wir geben der stadt ein großes Stück Mainufer zurück“
Was reizt Sie persönlich an der Planung im ehemaligen Industriepark Griesheim?
Mich fasziniert die Transformation eines einstigen Industriestandort in ein attraktives Quartier und die Chance dabei auch noch ein großes Stück Mainufer der Stadt zurückzugeben. Ich kann mir gut vorstellen, dass der Westen von Frankfurt sich künftig zu einer Landmarke entwickelt. In den nächsten Jahren dieses Areal den Frankfurterinnen und Frankfurtern zugänglich zu machen, samt dem Mainufer, und es so zu einem attraktiven Baustein im Stadtgefüge zu machen – das ist wirklich etwas, was man sich wünscht.
Haben Sie schon Ihren künftigen Lieblingsplatz auf der Frankfurt Westside ausgemacht?
Also wir erhalten tatsächlich in einer der Achsen einige alte Tankanlagen, die sehr hoch sind. Bei unserer Ortsbesichtigung konnten wir dort mal hochgehen. Dort gibt es einen super Blick auf die Skyline, die Westside und den Main. Also wenn ich es mir aussuchen kann, dann da.
Haben Sie vielen Dank für das Gespräch!